„Aida“ von Elton John und Tim Rice macht aus Verdis Stoff ein Rock-Pop-Märchen, einfach, schick und nicht zu laut.
Aida ist eine Märchenheldin, gut, schön und mutig. Der ägyptische Krieger Radames, der sie als Sklavin aus Nubien mitgebracht hat, ahnt, dass diese „Wildkatze“ von Adel ist. Er will ihr Prinz sein. Also wird der skrupellose Militär-Rocker ganz sanft. Doch es reicht nicht zum Happy End. Eine dramatische Flucht scheitert. Das Paar muss sterben. Denn Radames war schon mit der Pharao-Tochter Amneris verlobt. Diese Blondine interessiert sich zwar nur fürs Outfit, und ihre Zofen vertreiben viel Zeit mit einer verrückten Modenschau. Aber als der Pharao am Gift seines finsteren Ministers beinahe stirbt, da wacht Amneris auf und entwickelt so etwas wie Mitgefühl.
Das Disney-Musical „Aida“ erntete in Amerika Preise. Nun passt die deutsche Erstaufführung gut ins Essener Colosseum, einem imposanten Stahlbau aus der Krupp-Ära. Das große Haus ist schick aufpoliert, und „Aida“, die von Verdis bekanntem Operntitel profitiert, ist trendy. Der Texter Sir Tim Rice hat den Stoff umfrisiert. Zwar klappert das Deutsch von Michael Kunze manchmal. Rudimente kommen aber rüber. Wie in Aidas großem Solo „So einfach - so schwer“ mit Tränen on the rocks.
Die Lovestory wird übersichtlich erzählt, mit leuchtenden Farben, klar in Bildern und Personenführung. Auch neu erfundene Spielzüge sind gut eingepasst: eine Verschwörung, ein Vater für Radames plus Vater-Sohn-Konflikt und ein treuer, gewitzter Diener. So kann das Musical als Märchen mit Emotionen durchgehen. Meistens haben die Macher auf überflüssigen Psychologenehrgeiz verzichtet. Sie halten Politisches wie den Sklavenhandel als Rokoko-Schattenspiel hübsch im Hintergrund. Und die Blondinenfrage an ihre Kriegsherren: „Gibt es denn ein Recht, einfach ein anderes Land zu überfallen?“ hat als aktuelle Anspielung kaum mehr als eine Alibi-Funktion.
Auch die Musik von Sir Elton John tut nicht weh. Seine gewiefte Pop-Rock-Soul-Gospel-Mixtur ist durchsichtig arrangiert, ohne billige Füllwatte. Wem die Songs und gefühligen Balladen gefallen, der kann sie hier auch sehr direkt hören, weil die Verstärker nichts überdröhnen. Zudem waren jetzt die ersten Essener Hauptdarsteller Allroundtalente und gut bei Stimme: Florence Kasumba war eine dunkle Aida mit enormer Bühnenpräsenz und kessen Pointen. Der schwedische Radames Mathias Edenborn bewies Rockstatur. Und Maricel gefiel als blonde Amneris mit Soulstärken. Den Sklaven aus Nubien schenkt der Komponist öfter mal fetzige afrikanische Trommelrhythmen. Gern steigert er vom unbegleiteten Gesang über leise Begleitung hin zu Chor- und Tanzszenen.
Da arbeiten Regie und Choreographie (Robert Falls, Wayne Cilento) bestens Hand in Hand. Zu bewundern sind schneidige Kriegertänze, perfekte Models, elastische Bauchtänzerinnen und erstaunlich agile Gefangene. Die bittersüße Lovestory aber ist tröstlich eingerahmt. Am Anfang und Ende sieht man ein Museum von heute, das ihre Zeugnisse treu aufbewahrt.
Marianne Kierspel