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Pressespiegel

05.10.2003 22:01:01
Aida, Aida - Mensch, da biste ja wieda!
Die Welt
Das Musical von Elton John und Tim Rice entpuppt sich bei seiner Deutschland-Premiere in Essen als Trash-Spektakel.

Das Liebespaar in der Pyramidengruft einfach verrecken zu lassen, das konnte sich zwar ein Giuseppe Verdi leisten, doch in einem Disney-Musical gelten bekanntlich andere Gesetze.
Die zum Tode verurteilten Aida und Radames singen die von Michael Kuntze unnachahmlich eingedeutschten Worte: "Ich veracht', was man mit uns macht, weil ich so nicht leben will." Dann klettern sie in einen kleinen Kasten, schwarze Vorhänge ziehen die Szene zu. Aus die Maus. Billiger sieht man's bühnentechnisch in keinem Landestheater.
Doch dann geht das Licht noch einmal an, wir sind - wie schon einmal im sekundenkurzen Prolog - in der ägyptischen Abteilung eines Museums. Radames und Aida begegnen sich in der Gegenwart, schauen sich an und haben sich wieder gefunden. Bevor Michael Kuntze das Ruhrgebietspublikum mit dem Reim "Aida, Aida - Mensch, da biste ja wieda" beglücken kann, fällt endgültig der Vorhang. Giuseppe Verdi vertonte das Schicksal der versklavten Nubier- Prinzessin Aida im Jahr 1871 und schuf damit einen Welthit. Oft ist die Oper in den vergangenen Jahren als Hallen füllendes Spektakel gezeigt worden. Das Musical aber, das seit März 2000 erfolgreich am New Yorker Broadway läuft und nun erstmals in Deutschland zu hören ist, präsentiert sich optisch eher puristisch. Die Broadway-Aida von Elton John und Tim Rice startet in Essen viel versprechend, 100 000 Karten sollen schon vor der Deutschlandpremiere verkauft worden sein. Obwohl die ernst gemeinten Stellen immer wieder in die pure Peinlichkeit rutschen, ist die - wie üblich - klongenau der US-Produktion nachgebildete Aufführung sehr unterhaltend. Man muss sie nur als überdrehten Trashcomic begreifen.
Die Aida der soulvollen Florence Kasumba hat zwar viel Charisma (für die in Essen aufgewachsene 26-Jährige aus Uganda ist die Vorstellung in der denkmalgeschützten ehemaligen Krupp-Fabrikhalle ein Heimspiel). Aber wenn sie mit dem geschundenen Volk der Nubier einen pathetischen Freiheitschor im Schunkelrhythmus intoniert, wäre kein sonderlich geschickter Arrangeur nötig, um direkt den Schlager "Und die Karawane zieht weiter, der Sultan hätt Durst" anzufügen. Und Mathias Edenborn steht als Radames so stocksteif in seiner an seltsame Science-Fiction-Filme erinnernden roten Uniform in der Gegend herum, dass einem das alte, schöne Lästerwort in den Kopf schießt: "Früher war das aus Plastik und hieß Captain."
Absichtlich witzig ist die große Auftrittsnummer der unglücklich mit Radames verlobten Pharaonentochter Amneris, die ihre Luxuslüsternheit zu einer herrlich durchgeknallten Modenschau besingt. Maricel bringt mit selbstironischer Blondinen-Erotik und geschmeidiger Stimme doppelbödigen Musicalglamour auf die Bühne. Elton Johns Musik ist eine unterhaltsame Mixtur aus Rocknummern für die Bösen, afrikanischen und orientalischen Anklängen sowie süffig-sentimentalen Lovesongs. Die dramaturgische Stimmigkeit des "Königs der Löwen" erreicht "Aida" weder musikalisch noch in der biederen Inszenierung von Robert Falls. Auch "Jekyll & Hyde" im benachbarten Köln hat viel mehr an überwältigenden Bildern und Spannung zu bieten.
"Aida" ist ein B-Musical, ein Familienspaß, nicht mehr. Schön, dass wir noch Giuseppe Verdi hören können. Und nur gut, dass der italienische Komponist die Banalisierung seiner großen Oper nicht mehr mitbekommt.

Stefan Keim