MUSICAL / "Aida" ganz ohne Verdi: Die bejubelte Deutschlandpremiere der Elton John/Tim Rice-Version im Colosseum.
ESSEN. Vor sieben Jahren, da war das Alte Ägypten schon einmal zu Gast im Musical-Theater Colosseum - mit Andrew Lloyd Webbers "Joseph", einem kunterbunten Bibelcomic. Nun folgt "Aida" - als Musical, das Elton John und Tim Rice im Jahr 2000 an den Broadway brachten. Gestern feierte das vielfach ausgezeichnete Stück seine mit mehrfachem Szenenjubel bedachte Deutschlandpremiere in Essen. Und bewies, dass man tausendjährige Geschichte eben nicht modisch verjuxen muss, sondern sehr zeitgemäß aussehen lassen kann, wenn man die Geschichte todernst nimmt und trotzdem spielend leicht.
Verdis unverwüstliches Original hat in den vergangenen 230 Jahren manches ausgehalten: hallende Messehallen, elefantöse Großtierschauen und Kostüm-Karneval. Diesmal stellt sich das Musical zu Anfang selbst ins Museum, um doch ganz frisch zu wirken. Die Handlungs-Brücke ins Heute ist auch eine Konzession ans Publikum, das nicht mit zwei Todgeweihten im Blick nach drei starken Stunden das Colosseum verlassen soll. Aida und Radames, so will es die Geschichte immer noch, müssen für ihre Liebe zwar sterben, aber sie werden sich wiederfinden, in einem neuen Leben.
Ein Singspiel, das in all seinen Lied-Texten von Hoffnung, Mut und Zuversicht kündet, kann sich so ein Happy End kaum verkneifen. Und so tragisch die Love-Story der versklavten nubischen Prinzessin und des ägyptischen Feldherrn auch endet, so entpuppt sich die von Michael Kunze originell übersetzte deutsche Fassung durchaus als Tragödie mit Witz, Charme und Gefühl.
All das hat auch Aida-Konkurrentin Maricel als herrlich blöde, blonde Pharaonen-Tochter Amneris. Über schön-schräge Reime wie "Lieber trag´ ich eine Tonne als das Outfit einer Nonne" kann man grübeln, aber ihre Modepüppchen-Parodie "Sinn für Stil" ist ein gelungenes musikalisches Augenzwinkern unter falschen Wimpern, das flott groovt und gut duftet und aussieht wie Ägypten in Paris. So bekommt das Stück an den seufzenden Stellen einfach die rosa Zuckerschnuten-Zunge gezeigt, bevor es etwas zu bedeutsam grummelt.
Denn es gibt gar manches zu berichten und zu verhandeln und zwar phonetisch ausgefeilt. Die Regie hat ganze Arbeit geleistet, die Choreographien sind ein Hingucker und das Lichtdesign noch mehr. Meist sieht der Abend wie eine perfekte Robert-Wilson-Arbeit aus, die in Blutorange leuchtet, Wüstensandgelb und Telekom-Magenta. Kulissen gibt es so gut wie nicht, keine opulenten Pyramiden, keine pittoresken Kamele schieben sich ins Bild. Und wenn, entstehen die betörenden Bilder einfach mit Tüchern oder Computeranimationen und aufwändigem Licht.
Starke, stolze Prinzessin
Oft jedoch besinnt sich das Musical ganz auf sich und seine Darsteller. Nur im Lichtkegel steht sie dann da: Florence Kasumba, die stolze, ernste Prinzessin aus Nubien, wirkt zerbrechlich und agiert enorm stark und legt mit ihrer vibrierenden Hochspannung und dem unprätentiösen Spiel nicht nur den feindlichen Feldherrn Radames in Gefühlsketten. Der, Mathias Edenborn, ist zwar ein geborener Eroberer, ein martialischer Feldherr ist er nicht. Sein Schlachtfeld wird die Liebe sein, das weiß man, sobald er jungenhaft-ungestüm die Bühne entert.
Im Machtspiel der Gefühle bleiben beide Spielball der gefühllosen Mächtigen. Und auch denen hört man gerne zu: dem starken Kristian Vetter als fieser Radames-Papa Zoser beispielsweise, der eine famose Reggae-Rock-Grätsche hinlegt und die tadellos aufspielenden Musiker im Orchestergraben zu kühnen E-Gitarren-Riffs verleitet. Akustisch ist ohnehin alles dabei - bloß kein Triumphmarsch, sondern mehr als 20 sentimentale, gospelnde, swingende, orientalisch gefärbte, afrikanisch getönte, Gänsehaut-garantierende Elton John-Songs, die manchmal ins Ohr gehen, als hätte man sie schon im Radio gehört. Und das kann ja noch kommen.
Martina Schürmann